“Für seine zweite Heimat spendet er sein Herzblut”

“Für seine zweite Heimat spendet er sein Herzblut”

(Regula Fuchs, derbund.ch 28.12.2023)

Der Musiker Bänz Margot hat nach Ausbruch des Kriegs ein Hilfswerk gegründet. Manchmal hadert er mit den begrenzten finanziellen Ressourcen seiner Organisation.

Das Telefon von Bänz Margot klingelt. Odessa ist am Apparat. Die grösste Hafenstadt der Ukraine ist rund 120 Kilometer von der Front entfernt. Margot sitzt in einem Berner Restaurant und hat soeben engagiert von der Arbeit seiner Hilfsorganisation «Human Front Aid» erzählt.

Oleg Mykhaylyk meldet sich, ein enger Mitarbeiter. Er ruft aus einem Volunteer Center an, dem «Plich o Plich», auf Deutsch «Schulter an Schulter». Hier werden in Odessa gestrandete Binnenvertriebene aus den Kriegsgebieten mit dem Notwendigsten versorgt. Auch Human Front Aid ist in diesem Freiwilligenzentrum präsent.

Oleg Mykhaylyk ist gerade damit beschäftigt, geflüchtete Familien zu ihrer Geschichte zu befragen. Wer seine Notsituation überzeugend darlegen kann, erhält eine finanzielle Direkthilfe zwischen 50 und 100 Franken. Nur wenige Ausländer seien nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Land geblieben, sagt Oleg Mykhaylyk später am Telefon. «Was Bänz Margot gemacht hat, würden nicht viele Menschen tun.»

Was an ihm nagt

Der 45-jährige Berner Musiker und Kulturschaffende ist Gründer und Präsident des Vereins Human Front Aid. Seit dem Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 steht er ukrainischen Kriegsopfern mit finanzieller Direktunterstützung bei.

Seit dem Spätsommer ist Bänz Margot wieder in seiner Heimatstadt Bern. Momentan wohnt er zu Hause bei den Eltern, dem Musikerpaar Res und Ruth Margot. «Ich übernachte dort in der Stube», sagt er. Er kümmert sich auch von Bern aus Vollzeit um den Verein, ein regelmässiges Einkommen hat er im Moment nicht. Die Mutter zahle ihm die Krankenkasse, «das ist ihr Beitrag zu diesem Projekt».

Bänz Margot würde lieber heute als morgen wieder in die Ukraine zurückkehren, «es hängt ganz von den Spenden ab, die hereinkommen». Die Spenden aber sind rückläufig, das macht ihm zu schaffen, nagt an ihm. Er habe zu wenig Geld für Direktzahlungen an bedürftige Familien: «Es sind eh nur kleine Beträge, Tropfen auf den heissen Stein, aber es gibt den Menschen dort auch Hoffnung.»

Direkte finanzielle Hilfe

Bislang sind laut Margot annähernd 300’000 Franken Spendengelder über das Vereinskonto zusammengekommen. Seit Beginn des Kriegs wurden annähernd 6000 Menschen in Bussen nach Moldau transportiert, mehr als 3000 Familien konnten bisher laut Margot finanziell unterstützt werden.

Wohin das Geld fliesst, macht Margot auf den sozialen Medien und auf der Website des Vereins transparent. Nach Diskussionen mit dem befreundeten Hugo Fasel, Alt-Nationalrat und ehemaliger Direktor des Hilfswerks Caritas, wurde die Hilfe neu ausgerichtet und ein Konzept der finanziellen Hilfe umgesetzt. Human Front Aid unterstützt vor allem Familien, die ihr Zuhause verloren haben, alleinerziehende Mütter und ältere, kranke Personen. «Alle unsere Mittel fliessen innert Tagen in unsere ‹Direct Cash Help›», sagt Margot.

Die finanzielle Direkthilfe hat für Margot gleich mehrere Vorteile: Das Geld fliesse in die lokale Wirtschaft, und die Menschen könnten exakt das kaufen, was sie am dringendsten benötigten, etwa bestimmte Medikamente. Nicht zuletzt habe die direkte Geldhilfe noch einen weiteren Grund: «Die Ukraine kämpft immer noch mit Korruption, von den Hilfswerken zur Verfügung gestellte Produkte und Nahrungsmittel erreichen nicht immer die bedürftigen Menschen.»

Freunden beistehen

Bänz Margot bezeichnet die Ukraine als seine zweite Heimat. An der Berner Hochschule der Künste zum Schlagzeuger ausgebildet, gehörte er 1998 bis 2006 zu einer Schar von Aktivisten, die im Berner Schosshaldenquartier in einem leer stehenden Haus den Kulturraum Paradisli etablierten.

Die Ukraine besuchte Margot erstmals 2014, nachdem ihm befreundete Musiker geschrieben hatten, die Situation werde langsam «ernst» im Land. Gemeint waren die Proteste auf dem Maidan-Platz, nachdem Präsident Wiktor Janukowitsch unter russischem Druck die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU verweigert hatte.

Eine Woche nach dem Sturz der Janukowitsch-Regierung kam Bänz Margot in Kiew an; es war die Zeit, als Russland die Krim annektierte und in der Ostukraine einmarschierte. Fortan verbrachte Margot immer mehr Zeit in der Ukraine.

Als er am Morgen des 24. Februar 2022 in Odessa erwachte, war Krieg, der Flughafen von Odessa bereits zerstört. Er floh wie viele zunächst über die Grenze in die moldauische Hauptstadt Chisinau. Mittlerweile hatte er zahlreiche Freunde in der ganzen Ukraine und sorgte sich um ihr Schicksal. «Eigentlich fing es damals in der moldauischen Hauptstadt an», sagt er, «ich wollte einfach meinen ukrainischen Freunden helfen.»

Schliesslich gründete Margot mit zwei Bekannten aus der Schweiz Human Front Aid. Im Mai 2022 beschloss er, von Moldau nach Odessa zurückzukehren und dort die Arbeit fortzusetzen und sich mit lokalen Volunteer-Organisationen zu vernetzen.

Die Arbeit seiner kleinen Hilfsorganisation erfuhr durchaus auch Anerkennung: Ein Patronatskomitee wurde gegründet, dem unter anderen Nationalrat Matthias Aebischer und der CEO der Young Boys, Wanja Greuel, angehören. Am 4. März 2023 wurde Margot von Odessa aus live zur nationalen Solidaritätskundgebung auf dem Bundesplatz zugeschaltet. Im vergangenen Juni spendete die Stadt Bern 25’000 Franken an Human Front Aid.

Zwischen Stuhl und Bank?

Und doch treibt ihn eine Frage um: «Warum verfüge ich, der das Netzwerk und die Infrastruktur hat, nicht über mehr Geld zum Helfen?» Human Front Aid habe derzeit insgesamt einige Hundert Spenderinnen und Spender, darunter seien Einzelpersonen, Geschäfte, kirchliche Kreise sowie Freunde und Menschen aus dem familiären Umfeld.

Dabei haben Krisen wie der Ukraine-Krieg die Spendenbereitschaft in der Schweiz 2022 mobilisiert. Grosse Hilfswerke wie Caritas oder Helvetas verzeichneten Rekordspenden, ebenso die Glückskette.

Vielleicht sei er für Grossspender zu unprofessionell aufgestellt, vermutet Margot, und für die Kleinspender scheinbar zu etabliert. Von Menschen aber in der Ukraine erfährt Bänz Margot viel Wertschätzung. Seine Stimme bricht für einen Moment, er wischt sich über ein Auge. Diese Leute erlebten dort schreckliche Dinge, «und dann bedanken sie sich überschwänglich und feiern mich als Menschenfreund, manchmal ist es fast ein wenig zu viel». Aufgeben aber ist für Bänz Margot keine Option.

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